Schlangestehen: Es geht um die Wurst
Klaus Meier
übernahm den kleinen Betrieb seines Vaters und schuf ein modernes Unternehmen
Von Axel Lier
Es gibt Tage, da gucken die
Nachbarn von Familie Meier nur schnell mal aus der Tür. Stehen Leute vor dem Laden? Wenn nicht, muss alles ganz schnell gehen:
rein in die Puschen,
Beutel und Portmonee liegen bereit, und ab geht's im Sprint zur Fleischerei. Wer die Gelegenheit nicht nutzt, muss eine Menge Zeit mitbringen, wenn
er Sauerfleisch, Sülze oder Mettwurst essen möchte. Denn bei der Fleischerei "Brüder Meier" steht man Schlange. Seit 1989. Einer Zeit, als in
der DDR die Menschenschlange vor den Geschäften verschwand. Plötzlich tauchte sie im Westen wieder auf - in Bornum, einem kleinen Dorf kurz hinter
Königslutter. Und da blieb sie bis heute.
Wer die Leute in der Region nach ihrem Lieblingsessen fragt, bekommt irgendwann die Adresse von den
Fleischerbrüdern Meier genannt. "Fahren sie da mal hin! Aber einen Nachmittag sollten sie schon einplanen. Und meiden sie den Freitag", heißt es.
Warum Weil man oft anstehen müsse. Ewig. Und die Schlange sei größer als der Laden Platz biete. Anstehen für Lebensmittel? Klaus Meier (38) schmunzelt:
"Wer zu uns kommt, muss immer ein bisschen Zeit mitbringen", sagt der Fleischermeister und führt den Besucher durch seinen Laden. "Als wir
1989 aufgemacht haben, war der Verkaufsraum gerade mal einen Meter fünfzig breit und vier Meter lang."
Heute steht man in einem klimatisierten
Geschäft von der Größe einer Luxus-Garage. Vom Eröffnungstag am 10. Oktober 1989 bis heute sei der Laden jedes Jahr ein Stückchen gewachsen. Erst musste
die Garage dran glauben, dann ein Teil vom Wohnzimmer.
Heute steht eine sechs Meter lange Theke im Verkaufsraum, prall gefüllt mit
Kochwurst, Dosenfleisch und Fleischsalaten. Auch im Hof wurden die Gebäude immer größer und breiter. Neue Kühlzellen stehen da, es ist nur noch wenig
Platz für die Wäscheleine von Mutti. "Was soll man machen? Man muss ja expandieren, wenn's gut läuft", sagt Klaus, zuckt mit den Schultern
und presst frische Mettwurst in den Dünndarm vom Schaf. Mit dem Neubau auf der grünen Wiese will man lieber noch warten. Man wisse ja nie was kommt in
Zeiten von Schweinepest und BSE, so der Fleischermeister.
Bei den Meiers drehte sich schon immer alles um Schweine und Kühe. Damals, in den
50er Jahren, gehörte Klaus' Vater zu den vier Hausschlachtern im Dorf. Eigentlich ist er gelernter Maurer. Aber im Winter hatte er oft nichts zu tun
und er "machte deshalb in Fleisch".
Mit dem Rad fuhr er zu den Bauern, schlachtete das Vieh und produzierte Wurst. Alles an einem Tag. Doch
das mit "der Hausschlachte" wurde immer weniger. In den 60er Jahren war es bereits so wenig, dass die Bauern morgens mit ihrem Vieh zu ihm in die
Garage kommen mussten. Und am Abend bekamen sie ihre Wurst. In den 70ern machte der Vater im Haus schließlich eine kleine Ecke frei – das kleine
Schlachthaus im Hof sozusagen.
Die Bauern lieferten an, abends waren die Tiere tot und die Wurst frisch. So kam man über die Jahre. "Heute
bekommen wir fünf bis sechs Schweine pro Woche als Hausschlachte geliefert. Jeden Montag, denn da ist Schlachtetag", sagt Klaus und zeigt auf die
großen Haken an der Decke im Kühlraum. Anfang der 80er Jahre geht Klaus auf Wanderschaft. "Neun Jahre war ich im Land unterwegs. In Königslutter, an
der Küste im Norden, in Helmstedt, in Frankfurt/Main. Überall habe ich eine Menge gelernt, habe gesehen, wie eine gute Fleischerei laufen sollte",
sagt Klaus. Nach Lehrzeit und Meisterprüfung die Ladeneröffnung in Bornum. Mit seinem Vater ackerte er im Kühlhaus, Mutter verkaufte vorne im Lädchen.
Ein Jahr später kam Bruder Matthias (39) mit ins Unternehmen. Bereits zu Weihnachten musste eine Angestellte im Dorf gefunden werden, denn die Mutter kam
mit dem Verkauf nicht mehr hinterher.
Heute arbeiten sieben Frauen im Laden, vier von ihnen stehen ständig hinter der Theke. Im Schlachthaus
arbeiten fünf Männer, sogar Klaus' Vater steht noch jeden Tag von sechs bis elf mit in der Garage und hilft wo er kann.
Doch was ist das
Geheimnis des Familienunternehmens? Warum die langen Schlangen vorm Geschäft? Während im vier Kilometer entfernten Königslutter drei Fleischer in den
letzten Jahren aufgeben mussten?
Die Lösung klingt langweilig wie Supermarktwerbung: "Es ist unsere Frische", sagt Klaus Meier. Das kann
unmöglich das ganze Geheimnis sein, oder?
"Doch, in Braunschweig wird doch gar nicht mehr selbst geschlachtet, es gibt dort auch schon lange
keinen Schlachthof mehr. Das Fleisch kommt vom Zentralen Fleischdienst aus Zeven bei Lüneburg", erwidert er. Zentraler Fleischdienst, denkt sich der
Besucher, schon wie das klingt... Wenn die Produkte Braunschweig erreichen, seien sie mitunter bereits zwei Tage alt. Dann müssten sie noch zerkleinert
werden, verpackt, man könne sich ausrechnen, wann sie in der Theke landen.
Den Meier-Brüdern in Bornum käme auch nie ein Mastanlagentier unters
Messer. Diese Tiere seien zwar im Einkauf erheblich billiger, aber das habe nichts mehr mit Qualität zu tun. "Wir kennen unsere Landwirte alle
persönlich. Und die Tiere. Was nützt mir ein klappriges Schweinchen, dass nach nichts schmeckt? Da bestelle ich lieber bei unseren Leuten und warte ein
Jahr auf mein dickes 200 Kilo-Schwein", meint der Meier.
Klar sei es bei ihnen ein wenig teurer als bei Aldi, Minimal oder Lidl. Es mache sich
zwar bemerkbar, dass die billigen Supermärkte seit ungefähr einem Jahr frisches Fleisch anbieten dürfen. Doch Qualität entscheide.
Und so stehen
die Kunden bei den Meiers im Laden und warten. Warten auf das erlösende "Der Nächste bitte!" der Verkäuferin. Wie einst DDR-Bürger auf ihre Ration
Südfrüchte. Und auch die Dialoge scheinen dieselben:
"Aach, es geht heute mal wieder gar nicht voran, nicht wahr, Frau
Schulze?"
"Sie sagen es, Frau Müller, Sie sagen es. Warum braucht denn die da so lange an der Kasse?"
"Ich glaub', da
vorn hat jemand so viel bestellt, kann ja nächstens mal gleich den Partyservice buchen."
"Naja, aber was bleibt uns übrig? Müssen wir eben
warten. Sehen sie mal, Frau Schulze, der junge Mann, der will sich doch nicht etwa vor...?"
Auch als Journalist muss man im Laden der
"Brüder Meier GmbH" mit leichten Anfeindungen rechnen, wenn man einfach so bis zur Theke vorgeht, um seine Arbeit zu machen. Vordrängeln gibt
es nicht.
Samstag, 28.08.2004
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